Debatten im Landtag:
Rentendiskussion -
und die Folgen für Baden-Württemberg

Beantragt von der Fraktion Die Republikaner
Redebeitrag der Abgeordneten

MdL Wolf Krisch
Parl.Berater Dr. Peter Linder
Parl.Berater Michael Wiesberg

72. Sitzung des 12. Landtags



Übersicht
Einleitung
Grund der Debatte
Abg. Krisch REP
Abg. Mühlbeyer CDU
Abg. Dr. Müller SPD
Minister Repnik
Abg. Krisch REP


Einleitung

Die hier wiedergegebenen Texte sind Auszüge aus dem Landtagsprotokoll. Das vollständige Landtagsprotokoll ist abzurufen im Internet www.landtag-bw.de oder erhältlich von der Fraktion Die Republikaner.

Anlaß der Debatte:

Das Vorschlagsrecht zur ersten Aktuellen Debatte dieses Tages lag bei der Fraktion Die Republikaner.
Wegen der Bedeutung und der Aktualität wurde das Thema Renten für die Debatte gewählt.
Das interessante und das schwierige an Aktuellen Debatten im Landtag ist: es gibt keine Unterlagen, es gibt kein Vorabwissen über die Argumente des ersten Redners, in diesem Fall über die Gedanken der Republikaner zum Thema.
Und so werden aus Gedankenlosigkeit und oder aus geistiger Faulheit das Ziel und die Argumente des Debattenredners häufig nicht aufgegriffen, wird am Debattenthema vorbeigeredet.

Diese Debatte ist ein Beispiel dafür.
Ein Blick in das vollständige Plenarprotokoll bestätigt das.
Wie so oft verkämpften sich CDU und SPD in gegenseitigen Vorwürfen und Anschuldigungen, verfielen in Wahlkampfrhetorik.
Das Anliegen der Republikaner - ein Nachdenken über eine grundsätzliche Änderung unseres Rentensystems, der Ansatz zu einer grundlegenden Rentenreform - wurde von den anderen Fraktionen nicht aufgegriffen.


Präsident Straub:
Ich eröffne die 72. Sitzung des 12. Landtags von Baden-Württemberg.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Debatte – Die aktuelle Rentendiskussion und ihre Auswirkungen auf Baden-Württemberg – beantragt von der Fraktion Die Republikaner
Das Wort erteile ich Herrn Abg. Krisch.



Abg. Krisch REP:

Wir wollen in der heutigen Debatte auch über Rente mit 60 reden.
Wir werden auch über die Anpassung der Renten sprechen müssen.
Aber der Sinn der heutigen Debatte soll sein, einen Anstoß für eine grundlegende Änderung unseres Rentensystems zu geben.
Zunächst ein kurzer Rückblick.

17. November 1881 - Die Thronrede des Reichskanzlers von Bismarck war die Geburtsstunde unseres Rentensystems. Das war eine grandiose Leistung.
Erstmals waren Sozialleistungen keine Almosen mehr, sondern es entstand ein Anspruch auf diese Leistungen.
Von Anfang an gab es paritätische Leistungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, und von Anfang an hatte dieses System die Kapitaldeckung.
Es hat zwei Weltkriege überdauert.
Und es hat viele Reformen überlebt.
Ich erinnere an die Rentenreform von 1957 mit der Anbindung an die Brutto-löhne.
Ich erinnere an den großen Schnitt 1969, die Änderung vom Kapitaldeckungsverfahren auf das Umlageverfahren, und an die ersten Reparaturen 1992, als vom Bruttolohn auf den Nettolohn geändert wurde.
Seitdem hat sich vieles geändert.

Ich will nur kurz – weil das zum Thema gehört – das Problem der Pensionslasten anschneiden. Dazu hat uns Kollege Oettinger erklärt, daß die Pensionslasten von 1991 bis 1997 allein in Baden-Württemberg um 38% gestiegen seien und daß man im Jahr 2003 mit knapp 7 Milliarden DM Pensionslasten in diesem Land rechnen müsse. Als Gegenmaß-nahme wollte Kollege Oettinger die Renten von bisher 70% auf 60-64% kürzen.
Doch die Fehler im System hat die CDU mit der Politik ihrer letzten 16 Regie-rungsjahre zu verantworten.
Zu den versicherungsfremden Leistungen nannte Kollege Kuhn einmal die Summe von 100 Milliarden DM, ein Betrag, den der Ministerpräsident noch vor kurzem als marginal bezeichnete.

Und nun wollen Riester und Zwickel die Rente mit 60 einführen.

Meine Damen und Herren, dieses Vorhaben ist strikt abzulehnen.

Richtig wäre wegen der Umkehrung der Alterspyramide – früher war es eine Tanne, jetzt ist es eine Art Obstbaum – doch die Anhebung des Rentenalters.
Denn bei Einführung der Rente mit 60 gibt es weniger Beitragszahlende, die Rentenkassen werden zusätzlich belastet.
Die Folge ist eine Erhöhung der Lohnnebenkosten.
Dabei ist es furchtbar schwierig, korrekte Zahlen zu finden.
Es gibt Quellen, in denen von 800.000 Rentenberechtigungen gesprochen wird, wenn die Rente mit 60 eingeführt würde, und andere Quellen sprechen von 420.000 Personen.
Alle sind sich einig, daß die Kosten in der Größenordnung von 40 bis 70 Milliarden DM betragen werden.

Um das auszugleichen, will Riester einen Tariffonds einführen, in den Arbeitnehmer und Arbeitgeber fünf Jahre lang einzahlen sollen.
Dieser Plan ist verfassungswidrig.
Dieses verfassungswidrige Vorhaben wird von einer Bundesregierung vorgeschlagen, deren Vertreter heute und morgen in diesem Parlament über praktizierte Demokratie sprechen wollen.

Man stutzt da schon.
Und erinnert sich an die Tagesordnung von heute, bemerkt, daß SPD und Grüne noch heute einen Antrag einbringen wollen, der - wenn angenommen - gegen geltendes Recht verstoßen würde.
Da wird einem manches wieder etwas verständlicher.

Die Rente mit 60 bedeutet eine Beschäftigungspolitik zulasten der Sozialkassen.
Denn durch dieses Vorhaben werden die Nettoeinkommen reduziert, wird die Inlandsnachfrage nach unten gehen, und das Ganze resultiert wieder in einem Verlust von Arbeitsplätzen.
Das Vorhaben von Riester und Zwickel ist auch ein Bruch des Generationenvertrages.
Die junge Generation kann nicht mehr erwarten, daß für ihre heutigen Rentenzahlungen entsprechende Gegenleistungen erbracht werden.
Und schließlich: alle zukünftigen Tarifverhandlungen werden von den Gewerkschaften unter dem Gesichtspunkt Tariffonds geführt werden: Die Kosten dieses Tariffonds werden in die Lohnverhandlungen eingebracht werden.
Auch das führt zu einer weiteren Erhöhung der Lohnnebenkosten.

Das ganze System Rente mit 60 ist kontraproduktiv.

Wir wollen versuchen, mit der heutigen Debatte einen Anstoß zu geben, unser Rentensystem endlich auf eine gesunde Basis zu stellen, das heißt zurück zum Anfang, zurück zur Kapitaldeckung.

Zu diesem Ansatz möchte ich im zweiten Redeteil konkrete Vorschläge nennen.


Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Mühlbeyer.

Abg. Mühlbeyer CDU:

..... Wir sind für die Beitragsbezogenheit in der Rente. Die beitragsbezogene Rente folgt der Logik der Leistungsbezogenheit. .... Wer viel gearbeitet und hohe Beiträge bezahlt hat, hat auch einen Anspruch auf eine höhere Rente als der, der wenig gearbeitet und wenig bezahlt hat. .....
Eine von Teilen der SPD angekündigte bedürfnisabhängige steuerfinanzierte Grundrente ist ungerecht.
Letzten Endes bekäme derjenige eine Grundrente, der überhaupt keine Vorsorge getroffen hat, während die Verkäuferin, die 25 Jahre bei Aldi gearbeitet hat, für ihre Leistung möglicherweise genau die gleiche Rente erhielte. Sie nimmt auch die Leistungsbezogenheit, denn die erste Ausgangsposition ist, daß wir unseren Bürgerinnen und Bürgern sagen:
"Ihr müßt frühzeitig auch ein Stück für eure Altersversorgung vorsorgen, indem ihr arbeitet, Beiträge zahlt und somit Anspruch auf eine künftige Rente habt." .....


Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Müller.

Abg. Dr. Walter Müller SPD:

.... Ich erinnere Sie daran, daß am Ende der Regierungszeit der Regierung Schmidt die Sozialabgaben eine Höhe von 34% hatten. Dann kam Kanzler Kohl, und die CDU hat gesagt, der Marsch in den Abgabenstaat müsse gestoppt werden. Am Ende gab es Rekordabgaben von über 42%. Das ist das, was Sie für die Beitragszahler gemacht haben.
Ich zitiere die Kaufkraftentwicklung der letzten Jahre: 1995 minus 1,29%, 1996 minus 8,9%, 1997 minus 0,65%, 1998 minus 1,07%. .....
Künftige Rentenentwicklung nach dem Modell Blüm im Jahr 2005: 66,5%.
Modell Riester: 67,3%, also höher; 2010: Modell Blüm: 64%, Modell Riester 67%.


Präsident Straub: Das Wort erteilte ich Frau Abg. Bender.

Abg. Birgitt Bender Grüne:

Mit den Reps gäbe es gerade heute etwas anderes zu diskutieren als Inhaltliches ....


Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrrn Sozialminister Dr. Repnik.

Sozialminister Dr. Repnik:

.... Herr Kollege Müller .... Die Halbwertzeit des Wissens ist bei Ihnen in der Tat relativ kurz geworden. .... Ich erinnere daran, daß wir im Jahre 1992 gemeinsam mit der SPD von der brutto- zur nettolohnbezogenen Rente übergegangen sind. .....


Präsident Straub: Das Wort erteile ich Herrn Abg. Krisch.

Abg. Krisch REP:
Herr Minister Repnik hat soeben – er hat mehr Redezeit – meine Aussagen im Wesentlichen bestätigt, und dafür danke ich ihm.
Frau Kollegin Bender, Ihre Rede begann mit der Bezeichnung "Repse" für die Republikaner. Ich bin lernfähig, Frau Kollegin, und ich werde ab heute für Ihre Fraktion die Bezeichnung "Grütze" einführen.
Zu Herrn Kollegen Mühlbeyer möchte ich Folgendes sagen: Sie sagten:
"Wer viel zahlt, soll viel Rente erhalten."
Wie erklären Sie diesen Satz einer alten Rentnerin, die mit 800 oder 900 DM im Monat auskommen muß?
Gleichzeitig aber erhalten aufgrund der Gesetzgebung Menschen, Herr Kollege Mühlbeyer, die zum Beispiel aus Polen kommen und die nie einen Pfennig in unser Rentensystem eingezahlt haben, eine mehrfach höhere Rente?

Herr Kollege Mühlbeyer, die CDU ist der der Wahlsieger des vergangenen Sonntags.
Diesen Wahlsieg haben Sie dem Kurzzeitgedächtnis der Wähler zu verdanken.
Würden die Wähler sich an alle Fehler der CDU erinnern, Ihre Verluste wären größer als die von Grün und Rot addiert.

Wir wollten einen Vorschlag zur Änderung dieses Rentensystems machen, denn unser Rentensystem krankt an der Finanzierung.
Der amerikanische Ökonom Henry Aaron hat schon 1996 die wissenschaftliche Grundlage dafür geschaffen, hat festgestellt, daß die soziale Alterssicherung über das Umlageverfahren immer dann Vorteile gegenüber dem Kapitaldek-kungsverfahren hat, wenn die Wachstumsrate der Bevölkerung plus der Wachstumsrate des Reallohns größer ist als der Realzins des langfristig angelegten Kapitals.

In den Sechzigerjahren galt diese Aaron-Bedingung in der Mehrzahl der Staaten mit Rentenversicherungssystemen. Aber seit den Achtzigerjahren haben sich durch ökonomische und demographische Änderungen die Bedingungen umgedreht.
Der Geburtenrückgang und die Leistungssteigerung der Kapitalmärkte wird dazu führen, daß die Aaron-Bedingung in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr erreichbar ist.

Das Kapitaldeckungsverfahren hat gegenüber dem Umlageverfahren den Vorteil der besseren Verzinsung. Heute zahlt der der Arbeitnehmer in ein System, das ihm maximal 1% Verzinsung seiner Beitrags-zahlung gewährt.
Das Kapitaldeckungsverfahren würde mindestens 4% und maximal 8%
Verzinsung ergeben.
Der zweite Vorteil, Herr Kollege Scheuermann, des Kapitaldeckungsverfahrens ist folgender: Diese geldgierigen Politiker, die immer auf die Beitragskasse der Rentner zugreifen, haben im Kapitaldeckungsverfahren keine Zugriffsmöglichkeit mehr.
Die 100 Milliarden DM, die Herr Kollege Kuhn einmal nannte, wären damit aus dem Rentensystem verschwunden.
Solche Fremdleistungen sind zwar notwendig, aber das ist Sache des Steuerzahlers und nicht des Beitragszahlers.

Das kapitalgedeckte System hat Vorteile, hat sogar positive Nebeneffekte, die in der Diskussion völlig vernachlässigt werden.

Es fördert das Investitionsklima der Wirtschaft. Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Martin Feldstein – ein zweiter Ami, Herr Kollege Schmid – hat schon 1964 gezeigt, daß das auf dem Umlageverfahren basierende US-Alterssicherungssystem die US-Kapitalbildung um 30% gegenüber einem Kapitaldeckungsverfahren reduziert.

Wir fordern die Umstellung auf das Kapitaldeckungsverfahren. In dieser Meinung sind wir in Übereinstimmung mit bedeutenden Ökonomen und Wirtschaftswissenschaftlern.
Die Lasten, die zu Anfang durch das Kapitaldeckungsverfahren entstehen, sind durch die höhere Effizienz des neuen Systems mehr als gerechtfertigt.
Gesetzt den Fall, Sie hätten die Möglich-keit, durch eine Änderung Ihres Verhaltens Ihr Vermögen zu verdoppeln - Sie würden das tun, da bin ich sicher.
Mit der gleichen Logik sollten Sie hier handeln!

Zur Umstellung gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Man könnte zum Beispiel Leistungskürzungen in Rentensystemen zum Aufbau eines Kapitalstocks verwenden.
Man könnte versicherungsfremde Leistungen an den Steuerzahler übergeben und dadurch die Renten entlasten.
Man könnte konjunkturabhängig Beitragszahlungen anpassen und zur Bildung eines Kapitalstocks verwenden.

Ein weiterer interessanter Vorschlag zur Umstellung ist der des spanischen Wissenschaftlers Pinera.

Rentenbeitragszahler mit über 45 Jahren bleiben im Umlageverfahren.
Neue mit unter 25 Jahren beginnen im Kapitaldeckungsverfahren.
Die dazwischen haben ein Wahlrecht und haben, wenn sie auf das Kapitaldeckungsverfahren umsteigen, Anspruch auf einen Ausgleichsfonds.

Nochmals - diese Umstellung ist schwierig, birgt Risiken, stößt auf Widerstand.
Aber es ist wie mit dem Problem der Pensionslasten - je später es angepackt wird, desto schwieriger wird die Lösung, bis eines Tages eine Änderung unumgänglich ist - gleichgültig, welche Folgen das dann hat.

Jedes Abwarten und Ducken jetzt geht zu Lasten der nächsten Generation - und der haben Sie schon genügend Probleme aufgebürdet, ich nenne nur den Euro und die EU Osterweiterung.

Es ist mir aus Zeitgründen nicht möglich, das jetzt weiter auszuführen. Es kann doch niemand erwarten, daß in einem Nebensatz eines 5-Minuten Redebeitrags alle Argumente, alle Lösungsmöglich-keiten, alle Vorteile und alle Nachteile des Kapitaldeckungssystems erläutert werden.
Es wäre sinnvoll, wenn Herr Kollege Mühlbeyer, das einmal im Sozialausschuß als Thema zu behandeln. Dann könnten wir darüber im Einzelnen diskutieren.
Meine Fraktion wird in den nächsten Wochen einen Antrag zur Einführung des Kapitaldeckungsverfahrens einbringen. Ich meine, Sie sollten im Interesse aller Beitragszahler diesem Antrag dann zustimmen - und nicht wie es Ihre Regel verlangt, auch diesen Antrag ablehnen - nur weil er von meiner Fraktion stammt.

Den Ausspruch des Kollegen Scheuermann haben wir nicht vergessen - ich zitiere - "und wenn ihr das Grundgesetz abschreiben würdet und als Antrag einbringt - wir würden es ablehnen"


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