Gewalt an Schulen
47. Sitzung des 12. Landtags
Stellv. Präsident Birzele:
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Debatte -- Gewalt an Schulen in Baden-Württemberg --
beantragt von der Fraktion Die Republikaner
Das Wort erhält Herr Abg. Krisch.
Abg. Krisch REP: ....
Das Thema "Gewalt an Schulen" ist hier schon
häufig diskutiert worden.
Ich erinnere an die ersten Anträge meiner Fraktion vom August
1992, an unseren Gesetzentwurf Drucksache 11/6454, an die Debatten in der
23. und 33.Plenarsitzung dieses Landtags und an die verschiedenen Debatten
in der letzten Legislaturperiode.
Ich erinnere an das Programm "Herausforderung Gewalt" von Frau Ministerin
Schavan und Herrn Minister Schäuble, und an ähnliche frühere
Programme.
Bei all diesen Reden waren sich Sprecher sämtlicher Fraktionen
über die Ursachen der Gewalt einig. Es wurden immer die gleichen Gründe
genannt: Armut, soziale Not, Arbeits-losigkeit, Zukunftsangst, Zerfall
der Familie, Wertewandel, anderes Freizeitverhalten
(Zuruf des Abg. Zeller
SPD)
und, ganz stark, Gewalt in den Medien, Herr Kollege.
Aber wenn ich frage, was die Debatten der letzten acht Jahre an der
Gewalt in den Schulen geändert haben, ist die Antwort:
im Prinzip wenig.
Deshalb will ich einen neuen Ansatz versuchen.
Ich denke hier an meine eigene Schulzeit
(Abg. König REP: Das
liegt aber lange zurück!)
-- das war vor 50 Jahren --:
Damals gab es drei ungeschriebene Regeln: Kleinere und Schüler
aus niedrigeren Klassen sind tabu.
In einer Auseinandersetzung ist derjenige, der am Boden liegt oder
sich erkennbar nicht mehr wehrt, tabu.
Feiglinge sind jene, die Waffen verwenden. Und damals galt schon ein
Lineal als Waffe.
Welcher Wertewandel!
Bevor wir weitergehen, ein Wort zum Begriff Gewalt.
Der Begriff Gewalt ist nicht immer negativ besetzt.
Da ist die Staatsgewalt, ohne welche unser Gemeinwesen nicht existieren
kann.
Und innere Kräfte, die auch Gewalt auslösen können,
haben trotzdem Verwandschaft zu Begriffen wie Ehrgeiz, Durchsetzungsvermögen,
Leistungsbereitschaft, Einsatzwillen, Mut, ja sogar Aufopferungsfähigkeit.
Auch Streit unter Geschwistern ist eine Form von Gewalt.
Doch gerade hier ist mit der Differenzierung zu
beginnen.
Im Versuch, die Grenzen seiner Möglichkeiten zu erkennen, entwickelt
sich der Mensch. Auch das Kind muß den Umgang mit der Gewalt lernen.
Nur im spielerischen Umgang mit der Gewalt lernt das Kind soziales
Verhalten.
(Abg. Zeller SPD: Sag
mal! --)
Schlimme Folgen hat es, wird Kindern das spielerische Lernen
weggenommen.
Denn spielerische Gewalt ist nicht gewalttätig. Im Spiel werden
bei gesunden Kindern jene Grenzen eingehalten, die Verletzungen körperlicher
oder seelischer Art vermeiden. Kinder, Jugendliche, denen dieses spielen
mit der Gewalt unmöglich gemacht wird, werden leicht zu Gewalttätern.
Kinder, die durch fehlende Zuneigung nicht spielen können, Kinder,
die aus Angst nicht spielen können, werden leicht zu Gewalttätern.
Doch das Schlimmste, das es gibt, ist seelische
Gewalt gegen Kinder.
Die Diskussion hierüber ist in unserer Gesellschaft immer noch
tabu.
Das heißt in der Konsequenz:
Wenn das Problem Gewalt unter Kindern, Gewalt unter
Jugendlichen nicht bald gelöst wird - dann wächst eine Generation
heran, die unseren Staat zerstören kann und zerstören wird.
Das Thema dieser Debatte hat also höchste Priorität.
Nun lohnt sich ein Vergleich mit anderen Ländern.
Blicken wir nach den USA, die in vielen Dingen ein Vorläufer auch
negativer Entwicklungen war, die danach auch bei uns sichtbar wurden.
Ich nenne Obdachlosigkeit, Slums und Ghettos - Entwicklungen die Amerika
20 Jahre vor uns hatte, die sich nun auch bei uns ausbreiten.
Gewalt unter Jugendlichen, Jugendbanden und Gewalt an Schulen ist in
den USA sei Jahren zu beobachten.
Ich erinnere an die Todesschüsse vor kurzem - wo Kinder ihre Mitschüler
und auch Lehrer ermordeten. Gleiches gilt für England, wo an bestimmten
Schulen Lehrer ihres Lebens nicht mehr sicher sind; vergleichbares gilt
für Frankreich.
Völlig anders die Lage in Japan.
Bei hohen schulischen Anforderungen sind Vorkommnisse wie die hier
geschilderten so gut wie unbekannt.
Um jeder Kritik aus dem Weg zu gehen - das hier gesagte sind statistische Durchschnitts-werte.
Und gerade bei uns in Baden-Württemberg gibt es gravierende Unterschiede
zwischen den Schulen. Es gibt Verhältnisse wie in Japan - noch
eine heile Welt.
Und es gibt Verhältnisse wie in den USA, wie in England und in
Frankreich.
Gespräche mit Lehrern und Schulleitern, mit Elternvertretern und
selbst mit Schülerbeiräten in den letzten Tagen überraschten
mich in einer Beziehung.
Anders als vor 3 Jahren, wo zum Teil heftig abgeleugnet wurde, daß
Gewalt an Schulen überhaupt existiert, ist heute einstimmig die
Meinung: dies ist ein Problem, das eine schnelle Lösung verlangt.
Es ist einstimmig die Meinung, daß Pausschalurteile und simple Lösungen
fehl am Platze sind.
Doch wo werden die Probleme gesehen?
Viele der angesprochenen und befragten Erwachsenen nennen das schlechte
Vorbild der Erwachsenen, den Zerfall der Familie, die Zunahme alleinerziehender
Elternteile, das geänderte Freizeitverhalten Jugendlicher mit unsozialen
und egoistischen Sichtweisen sowie die Gewalt in den Medien. Und schließlich
die fehlende Zukunftsperspektive durch wachsende Arbeitslosigkeit, durch
steigende soziale Not.
Doch im letzteren Punkt möchte ich widersprechen.
Nur wer die Jahre 1940 bis 1950 bewußt erlebt hat, weiß,
was Not bedeuten kann.
Jeder Sozialhilfeempfänger heute ist besser abgesichert, braucht
weniger Zukunftsangst und Lebensangst zu haben als die Menschen jener Tage.
Und trotzdem war damals Gewalt an Schulen ein unbekanntes Phänomen.
Soziale Not kann Gewalttätigkeit fördern
- kann niemals die alleinige Ursache sein.
(Abg. Heiler SPD: Das
bedauern Sie?)
Ganz anders ist es mit dem Zerfall der Familie. Es hat noch nie so viele Kinder wie heute gegeben, die nur mit einem Elternteil groß werden -- in einer Konsumgesellschaft, in einer Wegwerfgesellschaft und Ellenbogengesellschaft, in einer Fernsehgesellschaft mit unbeschreiblicher, zerstörerischer Darstellung, mit menschenverachtenden Bildern in allen auch Kindern und Jugendlichen zugänglichen Medien.
Hier ist anzusetzen - hier sind Ursachen zu suchen - ich komme darauf noch zurück und greife das Thema von anderer Sicht auf.
Jeder von Ihnen, meine Damen und Herren, hat Jahre gebraucht, um seinen
Beruf zu erlernen. Doch noch niemand hat je den wichtigsten Beruf der
Welt richtig erlernt:
Das ist Eltern-Sein, das ist, Kinder zu Menschen zu
erziehen.
Deshalb sind die Alleinerziehenden vielfach überfordert, und deshalb
müßte dieser Punkt als weiterer Ansatz genutzt werden, um Gewalt
an Schulen zu verhindern.
Mir wird das Ende der Redezeit angezeigt - mehr im Teil Zwei.
Stellv. Präsident Birzele: Das
Wort erhält Herr Abg. Braun.
Abg. Braun SPD: ....
Es ist schon schade, daß ausgerechnet eine Partei, die die
Intoleranz, Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit in die Politik hineinträgt
und den geistigen Nährboden für rechte Gewalt bildet, ein solches
Thema auf die Tagesordnung setzt.
Stellv. Präsident Birzele: Das
Wort erhält Herr Abg. Krisch.
Abg. Krisch REP: ....
Ich sprach vorhin über den Wertewandel auch unter Schülern.
Ich habe daran erinnert, daß zu meiner Schulzeit alle, die sich bewaffneten,
als Feiglinge betrachtet wurden.
Heute ist das Messer an vielen Schulen die Mindestausrüstung.
Und ich bin über die Gespräche, die ich in den letzten fünf
Tagen führte, entsetzt.
Denn ich konnte feststellen, daß an vielen Schulen ohne
Wissen der Eltern oder der Schulleitung Schüler mit schußfähigen
9-Millimeter-Pistolen ausgerüstet sind - heute allerdings noch ohne
Munition.
Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis wir auch an unseren Schulen
amerikanische Verhältnisse haben.
(Abg. Zeller SPD: Das ist eine völlige Überziehung, was Sie da bringen!)
Zweitens, Herr Kollege: der Wertewandel wirkt sich auch auf den Gruppendruck
aus.
Gruppendruck hat es schon immer gegeben. Aber heute
ist der Gruppendruck an den Schulen schon so stark, daß er elterliche
Einwirkung fast ausschließt, in jedem Fall überspielt.
(Abg. Wintruff SPD: Bei
den Skinheads!)
Viele Schüler müssen sich diesem Druck beugen, ändern
ihr Verhalten, je nachdem, in welche Clique sie hineinkommen.
Drittens: Die Einschätzung der Gewalt durch die
Schüler unterscheidet sich oft sehr wesentlich von der Einschätzung
der Gewalt durch die Politiker dieses Hauses.
Denn die Antwort auf meine Frage: "Vor wem habt ihr Angst?" erteilt
dem "Multikulti" eine eindeutige Absage.
(Abg. Heiler SPD: Jetzt
sind Sie wieder beim Thema! -- )
(Abg. Dr. Caroli SPD:
Jetzt kommen die Ausländer wieder dran!)
Nochmals zum Vergleich mit USA - England - Frankreich und dem Gegensatz
Japan, zurück zum Unterschied zwischen 1998 und 1948.
Amerika hat Rassenkonflikte, die trotz jahrzentelanger Bemühungen
sich derzeit wieder verschärfen. Multikultur, oder Interkultur,
wie es heute beschönigend heißt, ist dort kläglich gescheitert.
Gleiches gilt für England und Frankreich.
Im Gegensatz dazu steht Japan, das Musterbeispiel einer Wertekultur.
Und wie war Deutschland vor 50 Jahren?
Da gab es nur Schüler aus einem Kulturkreis, mit vergleichbarer,
christlich geprägter Erziehung, mit gleicher Sprache - und Sprache
prägt das Denken und Handeln, wie jeder mehrsprachige bestätigen
wird.
Das ist der entscheidende Unterschied zu heute.
Schulen, an denen es auch heute noch wenig Gewalt gibt, sind Schulen mit mehrheitlich einheitlicher Sprache, an denen die Schüler den gleichen Erziehungshintergrund, die gleiche Religion und die gleichen ethischen Werte haben.
Doch in der Debatte über das Problem Gewalt an Schulen
werden seit Jahren stereotyp immer die gleichen Wege, die gleichen und
bisher fehlgeschlagenen Lösungen vorgeschlagen und gefordert.
Kollege Braun hat dazu typisches gesagt.
Nun wird gar verstärkt zur Problemlösung die Forderung nach
noch mehr Sozialarbeitern erhoben.
Meine Damen und Herren, ein Sozialarbeiter in Schulen
wirkt wie Aspirin bei Zahnweh:
Aspirin hilft -- die Schmerzen gehen weg --, aber
die Ursache wird nicht beseitigt.
Sozialarbeiter wirken wie Schönheitsreparaturen
nach Pfusch am Bau.
Wichtig ist doch, ein gutes Fundament zu schaffen, Kollegin Rastätter.
Ein Sozialarbeiter kann einige Fehler beheben, kann aber nie die grundlegenden
Ursachen für Gewalt an Schulen ändern.
(-- Abg. Wintruff SPD:
Rechtsradikale Umtriebe verbieten, das wäre das Allheilmittel! --)
-- Die Nachteile der Sozialarbeiter: Es fehlt an Zeit. Es fehlt an Geld.
Es gibt eine zu starke Fluktuation, und damit fehlt ein wirklich persönliches
Zusammenarbeiten mit den Jugendlichen. Viele Sozialarbeiter setzen Ideologie
vor soziale Verantwortung,
(-- Abg. Wintruff SPD:
Und Sie schüren das!)
und kein Sozialarbeiter kann das gewalttätige Umfeld verändern.
Ich frage Sie:
Welchen Grund hat ein Gewalttäter --
(Abg. Brechtken SPD:
Ihre Ideologie hat schon ganze Völker vernichtet!)
-- Dummes Gerede,
Herr Kollege Brechtken!
Welcher Sozialarbeiter hat Einfluß auf einen gewalttätigen
Jugendlichen, dem die Strafe, die ihm die Schule ausspricht, sogar als
Belohnung erscheint?
(Abg. Zeller SPD: Sag
einmal!)
Sozialarbeiter können, Herr Kollege, kein Umfeld verbessern. Deshalb
stellen wir die Forderung:
nicht reden, sondern Mut zu neuen Wegen.
Wir müssen -- ich habe es schon angesprochen -- beim kleinen Kind
beginnen.
Im Alter bis zu sechs Jahren wird der Mensch zum sozial kompletten
Menschen geformt -- nicht zwischen 6 und 16 Jahren.
Deshalb müssen wir zum zweiten die Familien fördern.
Wir müssen die Familien in die Pflicht nehmen.
Wir müssen eigentlich schon an den Schulen damit anfangen, den Kindern und Jugendlichen den Beruf "Eltern" beizubringen, und wir müssen die Familien auch finanziell fördern.
Das ist wichtiger, kostengünstiger und für die Kinder besser als Sozialarbeiter.
Zum dritten muß die Bedeutung der spielerischen Entwicklung des Menschen und des spielerischen Lernens von der Gesellschaft verstanden werden und ins allgemeine Bewußtsein dringen.
Zum vierten ist seelische Gewalt zu thematisieren.
Es geht nicht an, daß körperliche Züchtigung als schlimm
betrachtet wird und strafrechtlich verfolgt werden kann, die seelische
Vernachlässigung der Kinder unserer Gesellschaft aber scheinbar völlig
gleichgültig ist.
Seelische Gewalt kann sehr viel schlimmere Auswirkungen
haben als körperliche Gewalt.
Mehr Zuneigung und Zuwendung zu den Kindern sind erforderlich.
Ein nächster Punkt: Wir müssen an den Schulen ein kulturell
verträgliches Umfeld schaffen.
(Abg. Brinkmann SPD:
Jetzt kommt wieder die braune Soße!)
Das ist ein Tabuthema.
Dieses Thema wollen Sie nicht diskutieren. Aber es ist ganz eindeutig
festzustellen:
In spracheinheitlichen Klassen gibt es weniger Gewalt, und deshalb
wäre hier einmal ein Versuch, ein Experiment zu machen.
(Abg. Brechtken SPD:
Zuwendung zum deutschen Kind, toll!)
Schließlich: Gewalt in Medien.
(Abg. Brechtken SPD:
Zuwendung nur zum deutschen Kind! Richtig! Nazis raus!
Raus mit den deutschen Nazis!)
Gewalt in den Medien ist endlich zu bekämpfen.
Wie wäre es denn mit einem Straftatbestand Mediengewalt?
Wir brauchen das Ende der absoluten Freiheit ohne Rücksicht auf
die Menschen.
Es muß eine Absage an die extreme Globalisierung geben.
Wir müssen Entwicklungen wie dem MAI eine Absage erteilen.
Wir müssen in unserer Gesellschaft endlich wieder Menschlichkeit
durchsetzen.
(Abg. Brechtken SPD:
Sie reden von Menschlichkeit! Sie und Menschlichkeit!)
Nur so erreichen wir den Abbau von Gewalt. So ist es, Herr Kollege Brechtken.
(-- Abg. Brechtken
SPD: Unglaublich, der Typ!)
Wenn bei einer Problemanalyse aus ideologischen Gründen, aus
dogmatischen Gründen bestimmte Problemkreise ausgeklammert werden,
dann muß das Endergebnis fehlerhaft sein.
Und wie reagiert die Politik?
Wir haben es heute erlebt
Nichtstun - weitermachen wie bisher.
Dem setzt meine Fraktion die Forderung nach dem Mut
zu neuen Lösungen entgegen.